HERBERT BOECKL. Der Künstler macht einen Fleck und gibt ihm unbewusst eine wesentliche Gestalt
Herbert Boeckl experimentierte, welche Möglichkeiten das Neue bietet, um zu erhalten, was beständig ist. Ein Portrait des Verfechters der österreichischen Moderne anlässlich der Retrospektive im Belvedere im Wien.
Jahrhunderte brechen nicht ab, sie haben keine scharfen Kanten, sondern verfließen wie die Jahre, die sie beherbergen. Die Übergangszeit, in denen sich neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert erschöpften, wurden als fin de siècle bezeichnet. Dass etwas zu Ende geht, war der Moderne gewiss.
1918 sterben innerhalb eines Jahres Gustav Klimt, Egon Schiele, Otto Wagner und Koloman Moser. Damit klingt auch die an der Jahrhundertwende gelegene, erfolgreich aufstrebende, moderne österreichische Kunst aus. Wer, vom künstlerischen Fortschritt, blieb zurück? Zum einen Oskar Kokoschka. Er war nach Dresden gezogen und floh, wie ein Großteil der intellektuellen und künstlerischen Größen, mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten. Zuerst nach Prag, dann nach London. Dann war da noch Herbert Boeckl, und Boeckl blieb. Die Ausgangslage für die weitere Entwicklung des Malers war unvorteilhaft: eine autoritäre, konservative, antimodernistische Grundstimmung in Österreich, wenig rückenstärkende Kollegenschaft.
Gegen Ende der Jahrhundertwende waren Herbert Boeckls Arbeiten jenen von Oskar Kokoschka und Egon Schiele nahe, expressionistisch gestimmt. Im Laufe der Zeit hat sich seine Malerei jedoch mehrfach deutlich verändert. Fünf Richtungswechsel – von der traditionellen Stimmungsmalerei seiner frühen Kärntner Jahre, über den Secessionismus mit seiner Linienmalerei, den Expressionismus, seine pastose Phase, den expressiven Realismus bis hin zu einer abstrahierenden Farbflächenmalerei ab der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg – zählt der Universitätsprofessor und Enkel Matthias Boeckl. Dabei hat Boeckl für sich die Einteilung in Schaffensperioden stets abgelehnt, sein Werk in Motivzusammenhängen gesehen. Den Blick für Natur und Mensch, für das Wesentliche am Dasein, für die notwendige Gestalt schärft Boeckl an Portraits und Landschaften. Beides, so Agnes Husslein-Arco, Direktorin des Belvedere und Enkelin des Künstlers, zieht sich als bleibendes Motiv durch sein stilistisch vielfältiges Werk.
Das Wesenhafte, das was Bestand hat, das was von grundlegender Gültigkeit ist, wollte Herbert Boeckl als Maler festhalten. Diese Zielsetzung hat ihn jedoch nicht zum Konservativen, sondern zum Verfechter der Moderne gemacht, der experimentiert, welche Möglichkeiten das Neue bietet, um zu erhalten was beständig ist. Seine Ausrichtung auf das Beständige entspricht jedoch sehr wohl seiner religiösen Natur. Schon ganz am Anfang seiner Karriere erstellt Boeckl in der Kirche von Maria Saal ein Fresko, das den Menschen vor Ort zu provokante Malerei war und deshalb über Jahre hinweg verdeckt blieb. Ganz am Ende seiner Zeit schafft er mit der "Apokalypse" in der Engelskapelle Seckau eines seiner wichtigsten Werke.
Boeckl ist den Idealen und Stilrichtungen, die die Moderne hervorbrachte, verpflichtet, und er prägt die Entwicklung der österreichischen Kunstszene sowohl als Rektor und Professor der Akademie der bildenden Künste, wie auch als Mitglied des Kunstsenats entscheidend mit. Er setzt sich unter anderem für die Berufung Fritz Wotrubas und Albert Paris Gütersloh zu Professoren an der Akademie ein und zählt bedeutende Künstler der Nachkriegsgeneration – unter anderen Maria Lassnig und Alfred Hrdlicka – zu seinen Schülern.
Aus Anlass der Retrospektive der Boeckl Arbeiten im Unteren Belvedere in Wien, hat CastYourArt im Atelier Boeckls, das seit seinem Tod im Jahr 1966 weitgehend unverändert geblieben ist, die beiden Kuratoren der Ausstellung Agnes Husslein-Arco und Matthias Boeckl interviewt und ein Personenportrait des Künstlers erstellt. Anlässlich der Werkschau ist auch ein fast fünfhundert Seiten starker Katalog mit einem Werkverzeichnis im Anhang erschienen. (Text: Wolfgang Haas)