FIENE SCHARP. Mit Haut und Haar
Fiene Scharps Arbeiten mit Haut und Haar konfrontieren uns tastend mit unserer Körperlichkeit, ihren Grenzen, Durchlässigkeit, Integrität und Auflösung. Ein Künstlerportrait.
Schönheit. Ordnung. Sauberkeit. Reinheit. Perfektion. Für einige der Begehrlichkeiten, seinem Leben eine zivilisierte Richtung zu geben, ist Haar eine Schwachstelle. Haar kann störrisch sein. Wer gepflegt ist, hat sein Haar im Griff. Plätze, an denen Haare deplatziert sind, gibt es auch jenseits der Körperteile, die wir lieber unbehaart hätten, zuhauf: Haare beispielsweise, fallen vom Kopf, um sich mit Kleidungsstücken aufs Engste zu verweben. Als sprichwörtliche oder buchstäbliche in der Suppe, versalzen sie das Leben. Ausgefinkelte wiederum fühlen sich von Filmrollen und Diarahmen statisch angezogen, um bei Präsentationen große Schatten an die Wand zu werfen.
Wie verhält es sich, wenn wir dem Haar nicht in der Suppe, sondern in der Kunst begegnen? Gelten dieselben Regeln? Der Gebrauch unkonventionellen Materials in der Kunst legt nahe, sich Gedanken zu machen. Die in Berlin lebende Künstlerin Fiene Scharp arbeitet mit Haar, Fett und Wachs. Sie ziele, sagt die Künstlerin, auf den Moment der Berührung. Jenen Moment, in dem Berührender und Berührte sich ihrer selbst gewahr werden, je durch den Aspekt des Anderen. Wird Kunst gezeigt, so ist selten Berührung gefragt, die Menschen sollen Wahrnehmen – please do not touch!
Fiene Scharps Gebrauch von Haar fordert die Überschreitung solcher Grenzen heraus, es verhält den Betrachter zwischen Anziehung und Abstoßung. Ein 100 Zentimeter Quader, gebaut nur aus Menschenhaar, bringt unsere Empfindung ins Wanken. Will man da noch übers Haar streicheln? Von wem stammt es eigentlich? Das fasziniert und ist irgendwie gruselig zugleich. Formen, die wir gewohnt sind, ordnen wir Materialitäten zu. Wellen zum Beispiel oder Striche auf Papier. Solche Formen irritieren, wenn sie aus einem anderen Material sind, z.B. aus Menschenhaar. Haar, fällt es ungewollt auf Gegenstände, die dafür nicht vorgesehen sind, verformt diese, auch im richtigen Leben. Es bringt uns dem Absterben näher, es verletzt. Unser zivilisatorischer Blick hat den vitalen Körper mit dem integren vertauscht, unversehrt und sauber, was von ihm abfällt ist Abfall, Herbst des Lebens.
Haut, an der wir den Zustand der Getrenntheit wie auch der Durchlässigkeit, unsere Berührbarkeit, fühlen, spielt neben Haar eine wichtige Rolle in den Arbeiten Fiene Scharps. Was sich berührt, ist auf prekäre Weise miteinander verbunden. Berührung macht Nähe spürbar, jenen Abdruck der Getrenntheit. Um den komplexen Beziehungen der Berührung beizukommen, nutzt die Künstlerin die Möglichkeiten der Videoarbeit: zwischen zwei Fingern eingespannt sträuben sich dünne Haare als Barriere der Berührung hörbar; zwischen zwei Händen schmilzt eine raue Platte aus Eis zu einem polierten, glasklaren Abdruck des Ineinander. Selbst wenn die Betrachter aufs Hören und Sehen beschränkt sind, ihr Tastvermögen steht ihm Vordergrund und kann doch nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden. (Text: Wolfgang Haas / Janima Nam)
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