THOMAS HIRSCHHORN. Rot sehen
Heiß laufen, ausrasten, durchdrehen – rot sehen. Gefährlich rot, Stopprot, rot sind der Schmerz und das Leid, Flaggenrot, rot wie die Liebe und die Lust, glutrot, blutrot. "Das Auge" sieht rot. Ausschließlich. So lautet die Setzung des Schweizer Künstlers Thomas Hirschhorn. Er hat "Das Auge" in der Wiener Secession raumfüllend installiert.
Thomas Hirschhorn ist Philosophiefan. Er bewundert Foucault. In einer seiner frühen Arbeiten fragt Foucault nach der "Ordnung der Dinge", die uns die Welt übersichtlich macht, manche Dinge in ein Verhältnis zueinander rückt und andere wiederum als unvergleichbar kennzeichnet. Die Ordnung der Dinge, meint der Philosoph, versteht sich nicht von selbst. Auch anderes wäre möglich. Zur Anschauung zitiert Foucault aus J. L. Borges Buch "Das Eine und die Vielen" eine Enzyklopädie, die die Welt deutlich anders ordnet. Ein Beispiel: Die Klasse der Tiere wird dort kategorisiert in: einbalsamierte Tiere, Milchschweine, Sirenen, Fabeltieren, herrenlose Hunde, Tiere die dem Kaiser gehören, solche die mit einem ganz feinen Pinsel aus Kamelhaar gezeichnet werden können, Tiere die von weitem wie Fliegen aussehen usw.
Was diese Ordnung für uns unmöglich macht, sagt der Philosoph, ist nicht die Tatsache, dass zur Klasse der Tiere auch die Fabeltiere gezählt werden. Die Unmöglichkeit ergibt sich daraus, dass sie Fabeltiere neben Milchschweinen und diese wiederum neben einbalsamierte Tiere und herrenlose Hunden etc. stellt, dass sie also Dinge auf eine Ebene bringt, von der wir uns beim besten Willen nicht vorstellen können, was diese Ebene sein könnte, auf der diese Dinge nebeneinander und zueinander in ein Verhältnis geraten.
Was ist die Ebene, auf der in unserer realen Welt die Dinge nebeneinander geraten, fragt der Philosoph Foucault. In seiner Wiener Ausstellung antwortet Thomas Hirschhorn, der Fan des Philosophen und Künstler: Rot. 'Das Auge' sieht rot – ausschließlich rot. 'Das Auge' sieht rot ist eine Setzung des Künstlers, die alles Rote auf eine Ebene und zueinander in ein Verhältnis bringt.
Hirschhorns rote, gegen die Unübersichtlichkeit einer immer komplizierter werdenden Welt gesetzte Ordnung gibt zu denken. Das hängt damit zusammen, dass der Künstler die Dinge zwar auf eine Ebene stellt, zugleich aber verweigert, ihren Zusammenhang dem Betrachter ordnend darzulegen: "'Das Auge' sieht aber 'Das Auge' versteht nicht." So gesehen ist seine Installation ähnlich radikal wie die erwähnte Enzyklopädie Borges. Sie ist eine Setzung, die die Dinge auf einen gemeinsamen Boden stellt und ihnen ein Verhältnis nahe legt, das wir zu verstehen suchen – "Das Auge" versteht nicht, es prätendiert Verhältnisse nur. Hirschhorn selbst meint deshalb zu recht, seine Kunst sei prätentiös und ambitiös und in gewissem Sinne sei es auch irrsinnig, dieses ganze Ding des Zusammenhangs aufzeigen zu wollen.
Sein Werkzeug ist das Umfassende, das Zuviel, das Irrsinnige, sein Darüber-hinaus-gehen über das, was in gewisser Weise erlaubt, ordentlich oder akzeptiert ist. Statt ordnender Reduktion setzt er er ein Übermaß an Ordnung, er verknüpft wie wild. Das ist rhizomorph. Hirschhorn ist Philosophiefan. Er hat auch dem französischen Philosophen Gilles Deleuze ein Monument gesetzt. Zusammen mit Félix Guattari postuliert Deleuze 1976: "1. und 2. – Prinzip der Konnexion und der Heterogenität. Jeder beliebige Punkt eines Rhizoms kann und muß mit jedem anderen verbunden werden. Ganz anders dagegen der Baum oder die Wurzel, wo ein Punkt und eine Ordnung festgesetzt wird."
(Text: Wolfgang Haas)