Platz da! - Konsens oder Konflikt?
Konsens oder Konflikt? Die Ausstellung im Architekturzentrum Wien "Platz da! European Urban Public Space" gibt eine klare Antwort: Die Nutzung des öffentlichen Raumes ist beides. Konfliktreich und konsensual.
Die Produktion von Raum ist ein zentraler Aspekt der kapitalistischen Ökonomie. Die städteplanerische Entwicklung hat große Bedeutung in der Dynamik der Akkumulation von Kapital erreicht. Ob es sich um die Privatisierung von Arealen handelt, die neuen Formen mobiler Kommunikation, die Wandlungen urbanen Raums oder das Verschwinden von Cafés als Agora des politischen Lebens und von Debatten: die Konfrontation von Ideen im öffentlichen Raum ist rar. Um die neuen Nutzungen von öffentlichem Raum zu verstehen, zeigt die Ausstellung „Platz da“ eine Analyse des Verhältnisses öffentlich-privat, das konstitutiv ist für die Form und den Sinn der öffentlichen Räume in zeitgenössischen Städten.
Nach den Religionskriegen wurde das Öffentliche begrenzt auf das Politische, als Gegensatz zum Privaten, ausgehend von der modernen Idee des Staates als einer neutralen Entität - so wird die Religion nicht mehr zu einer öffentlichen Angelegenheit, sondern als Privatsache der Privatsphäre zugehörig. Die ethisch-politische Neutralität die das Öffentliche kennzeichnete, charakterisierte dieses so, dass man sich heute öffentlich nur öffentlich benehmen kann, also nicht an einem Platz duschen, kochen oder am Gehsteig urinieren kann (oder sollte).
Dies hat sich in jüngster Zeit radikal geändert. Die Entwicklung der Kommunikationstechnologien hat das Private öffentlich werden lassen, bis in die intimsten Details. Diese Invasion des Öffentlichen in das Private zieht sich durch alle Bereiche des Lebens - Glasfassaden, Reality shows, Überwachungskameras. In dieser Spannung zwischen öffentlich und privat muss das Öffentliche als Instrument des Gemeinwohls und das Private als Zuflucht der Intimität gerettet werden.
Um zu existieren, benötigt sogar das Private das Öffentliche, d.h. die Anerkennung der privaten Natur gewisser Dinge durch die Anderen, sowie dass die Subjekte sich in öffentliche Individuen verwandeln, wenn sie als Bürger auftreten um Entscheidungen zu treffen.
Wir sind derzeit Zeugen einer Wiedergeburt des Individualismus, der die Revision der Rolle des Staates als Garant der Freiheiten und der Rechte derjenigen Subjekte, die das soziale Gesamte bilden, benötigt. Durch den Rückzug der Nationalstaaten und neue Tendenzen in der Politik wird eine grössere Teilnahme der Zivilgesellschaft notwendig, aber die besagte Teilnahme benötigt die Fähigkeit zur Organisation und Artikulierung von Konsens.
Was bedeutet es, Konsens zu erreichen, die Nutzung des öffentlichen Raums auszuverhandeln, ihn überhaupt zu bestimmen? Die Herstellung von Konsens beruht auf Anerkennung der Alterität, der Notwendigkeit einen „Gemeinplatz“ zu finden, auf dem das menschliche Zusammenleben beruhen kann.
In einer Welt in der die neuen Technologien die Auffassung von Zeit und Raum verändern und die Grenze zwischen Intimität und Öffentlichkeit auflösen, transformiert sich das Verhältnis zur Alterität. Diese Mutation im Verhältnis zum Anderen verändert auch den Sinn des öffentlichen Raums. Kann er noch das soziale Bindemittel bleiben, kann er seine Funktion als Raum für Debatten beibehalten?
Die Austellung nähert sich der Thematik von zeitgenössischer Zusammensetzung urbaner Räume auf mehreren Achsen an: Konzeption – wie werden urbane Realitäten gedacht und produziert, Konsens – wie bringen sich Akteure ein oder werden eingebracht, Koordination – wie sind diese neuen Realitäten organisiert.
Die Ausstellung vermeidet auch die zu simple Kategorisierung der Akteure, v.a. der Einteilung in Bewohner, Entwerfer und Entscheider. Diese Kategorien wären doppelt unbefriedigend: sie würden sowohl die ökonomischen Akteure als auch die Varianten, die sich mit wechselnden Situationen ergeben ausser acht lassen.
Es zeigt sich eine größere werdende Distanz zwischen den Sphären der Reflexion über die zu verfolgende Politik (öffentl. Debatte) und der Transformation dieser Debatte in kollektive Entscheidungen: Die Verstädterung und die ihr zukommende Form der öffentlichen Verwaltung hat den paradoxen Effekt, die Sichtbarkeit der Entscheidungsabläufe zu verdunkeln.
Sollte also der öffentliche Raum Konflikt oder Konsens fördern? Die Antwort lautet: Beides, denn ohne Differenz würde Konsens keinen Sinn ergeben. Der ideale öffentliche Raum ist ein Raum ständigen Konflikts und der Ansätze zu seiner Lösung, sowie der Eröffnung neuer Konflikte. (Text: Cem Angeli)