Mirabilia, Furien, Kuriosa - Die Kunstkammer des Kunsthistorischen Museums in Wien
Eine der wichtigsten heute noch bestehenden Kunstkammern, jene des Kunsthistorischen Museums in Wien, wird Ende 2012 wiedereröffnet. Dieser Beitrag konnte mit freundlicher Unterstützung des UNIQA ArtCercles verwirklicht werden.
"And if there ever was an age when one sees varied and wondrous things I believe that ours is one" (Mateo Bandello, 1554)
In Elfenbein, Rhinozeros- und Narwalhorn gearbeitete detailreiche Miniaturen. Straußeneier, Symbole der Erstarkung am Widerstand, denn der Riesenvogel, heißt es in der antiken Mythologie, ernährt sich von Stein und Eisen. Seychellennüsse, an Land gespült bei den Malediven. Bezoare, jenes Melancholie vertreibende Gestein aus den Mägen wiederkäuender Tiere gefasst in wertvollster Feinschmiedekunst. Kunstuhren, wundersame Automaten, Quadranten, Astrolabien und anderes wissenschaftliches Gerät. Die absonderlichsten Missgeburten, Madonnenfiguren, dionysische Satyrn aufgereiht neben aus den Untiefen der Ozeane hervorgeworfenem mystischem Getier. Becken, Kelche, Schalen, Kannen, Becher, Pokale getrieben aus Gold, geschliffen aus Edel- und Halbedelsteinen. Ein unglaubliches Sammelsurium, zusammengetragen auf den Entdeckungs- und Handelsreisen in die entferntesten Ecken der Welt und Zeit, weitervererbt, erworben und schließlich ausgestellt. Am Ambraser Hof des Habsburger Fürsten Ferdinand II, in den eigens dafür eingerichteten Räumlichkeiten des Kaisers Rudolf II am Hradschin, der Prager Burg.
In den Kunst- und Wunderkammern der Renaissanceherrscher erschließen sich den Blicken Neugieriger die Welt. Zur Schau gestelltes weckt Staunen und Wissensdurst aufgrund seiner Besonderheit und hinterlässt den tiefen Eindruck eines neuen, weltumfassenden Zeitalters. "In uno omnia." Jenes auch den Wunderkammern zugrunde liegende Weltbild des Athanasius Kircher, Universalgelehrter und Gründer des ersten Museums, des Kircherianum am Collegium Romanum, signalisiert jedoch ein neuzeitliches Konzept nicht nur von Wissen, sondern auch von Macht. Erstaunen und Erstarren sollen nicht nur Erkenntnis bringen. Erstaunen und erstarren sollen die Menschen auch vor der Macht jener, die all dies zu bündeln vermochten. "Der Welt als Mikrokosmos in der Kunstkammer", erklärt Sabine Haag, Kunstkammer Expertin und Generaldirektorin des Kunsthistorischen Museums Wiens, entspricht "der Herrscher als Beherrscher dieser Welt."
Die Kunstkammern der Renaissance, jene Vorläufer des Museums, geraten mit der neuzeitlichen Selbstgewissheit des Menschen gerade aufgrund ihrer machtstabilisierenden Wissensbasis zusehends in Verruf. Das Leitbild eines auf Erstaunen und Erstarren, auf Anschauung bauenden Wissens stand unter dem Verdacht der Tradierung alter Sichtweisen. Zuviel Verwunderung kann negativ sein, da es den Gebrauch des Verstandes verhindert und pervertiert, heißt es bei René Descartes. Die ganzheitliche Anschauung musste der Analyse, dem Konzept der Ausdifferenzierung weichen. Ein großer Teil der Kunstkammer-Sammlungen verschwindet, die Bestände werden in den aufkommenden Spezialmuseen verteilt.
Die beiden Kunst- und Wunderkammern der Habsburger Herrscher Ferdinand II und Rudolf II sind heute im kunsthistorische Museum in Wien zusammengeführt. Im Frühjahr 2002 wurde die Kunstkammersammlung für die Öffentlichkeit geschlossen. Ende 2012 soll sie nach einer grundlegenden Sanierung der Präsentationsräumlichkeiten wiedereröffnen. Die Adaptierung der Räumlichkeiten ermöglichen Donatoren der Wirtschaft, so hat beispielsweise unser Kooperationspartner, die UNIQA, die Restaurierungs- und Umgestaltungskosten des Saliera Saals, benannt nach dem berühmten Salzfässchen des italienischen Bildhauers und Goldschmieds Benvenuto Cellini, übernommen. CastYourArt konnte mit Unterstützung des UNIQA ArtCercles hinter die verschlossenen Türen der Kunstkammer blicken und hat mit Sabine Haag ein Interview zur Kunstkammer geführt. (wh)