Meret Oppenheim - Die Schamanin der Archetypen.
Die Schamanin der Archetypen – Meret Oppenheims skurriles, humorvolles, erotisches und fragmentarisches Oeuvre ist noch bis zum 14. Juli 2013 im Bank Austria Kunstforum zu besichtigen. Ein Ausstellungsporträt von CastYourArt.
Für Meret Oppenheim (1913 – 1985), die im Oktober hundert Jahre alt geworden wäre, gibt es keine Einordnung, mit der man ihrem eigenwilligen und vielseitigen Kunstschaffen gerecht würde. Diese erste museale Retrospektive in Österreich versucht nun einen neuen umfassenden Blick auf Oppenheims Leben und Werk und zeigt Arbeiten aus allen Schaffensperioden. Rund 200 Leihgaben sind zu sehen. Wie oft bei weiblichen Kunstschaffenden widmete die Kritik Meret Oppenheims Biographie, ihrem Liebesleben und ihrer Erscheinung mehr Aufmerksamkeit als ihrem Werk. Das will die Retrospektive im Bank Austria Kunstforum nun ändern.
In chronologischer Reihenfolge werden alle Themen repräsentiert, die Oppenheim beschäftigt haben: Erotik und Androgynität, Natur und das Unbewusste, Modedesign, Illustration, Naturstudien und Druckgrafik, Collage, Möbeldesign, Schmuck, Kleider und Masken, sowie Poesie und Fotografie.
Meret Oppenheim vertrat keinen Stil, ihr Arbeiten scheinen Inspiration zu sein, für die sie als Medium fungiert durch welches unbewusste Inhalte Form annahmen.
Ihr Vater hatte sie in ihrer Jugend aus Sorge zum Psychiater C.G. Jung geschickt, dessen Theorien sie zeitlebens beeinflussten – wie jene über die zwei Geschlechter im Menschen, dem männlichen Geist und der weiblichen Natur. Oppenheim sah sich selbst weder als „feministische“ noch „weibliche“ Künstlerin. Wie sie selbst sagte:„Im geistigen Bereich gibt es keinen Unterschied zwischen Mann und Frau, der Unterschied besteht nur im Animalischen – denn der Geist ist androgyn.“
Fragen der Geschlechteridentität, aber auch Natur, Traum und Wirklichkeit, Erotik, Mythen und Spiele sind die Themen, die Oppenheim ihr Leben lang beschäftigten.
In ihren künstlerischen Versuchsanordnungen wird die Tendenz spürbar, eine archetypische Ordnung der verschiedenen und gegensätzlichen unbewussten Kräfte zu etablieren, und den Fokus auf all jene psychischen Inhalte zu konzentrieren, die zur Aufspaltung und zum Riss führen könnten.
Gegenüberstellungen, die jenen Prozess der Individuation detailliert erläutern, wo das Bewusste und das Unbewusste einen dialektischen Austausch etablieren, jedoch ohne jene Konflikte die das Psychopathologische auslösen. Daher finden sich in Oppenheims Arbeit keine Anzeichen von Spaltung, trotz der Energie der Komplexe, die (fast) als personifiziert erscheinen.
Laut C.G. Jung können nicht nur die bewussten Inhalte ins Unbewusste abgleiten, es gibt auch neue Inhalte, die nie bewusst waren und die daraus auftauchen können. Das Unbewusste ist also nicht nur ein Aufbewahrungsort von Vergangenem, sondern ist auch voll Keimzellen für kommende psychische Situationen oder kreative Ideen. Oppenheim verdankt den aus dem Unbewussten auftauchenden Inspirationen oft ihre besten Arbeiten.
So wie der Körper Nahrung benötigt, braucht die Psyche den Sinngehalt ihres Daseins. Die Bilder und Ideen, die ihr nach C.G. Jung naturhaft entsprechen und das Unbewusste hervorrufen, stellen die archetypische Form bereit, die an sich leer und undarstellbar ist. Dennoch ist diese Form vom Bewusstsein mit ähnlichem bildhaften Material gefüllt und wird dadurch wahrnehmbar – so sind die archetypischen Vorstellungen immer individuell determiniert, vom jeweiligen Ort und der Zeit. Die Kreation eines Symbols ist kein rationaler Prozess, dieser kann kein Bild produzieren das einen im Grunde nichtvorstellbaren Inhalt darstellt; um ein Symbol zu begreifen braucht man eine gewisse Intuition, einen Spieltrieb, der in irgendetwas den Sinn dieses geschaffenen Symbols versteht und in das Bewusstsein einordnet.
Diesem Spieltrieb Meret Oppenheims, der ihr eigenwilliges, unvermindert aktuelles Schaffen mit all seinem Ideenreichtum, seinen Versuchen und Experimenten hervorgebracht hat, kann man in der Ausstellung – und dem exzellenten Katalog – nachspüren. (Text: Cem Angeli)