BRIGITTE KOWANZ. Now I See
Brigitte Kowanz fordert heraus, Dinge zu hinterfragen. Wahrnehmungsprozesse werden zu Erkenntnisprozessen. Jetzt sehe ich oder besser noch: Jetzt verstehe ich. Anlässlich der Ausstellung "Now I See" im MUMOK in Wien zeigen wir ein Künstlerportrait. Dieser Beitrag konnte mit freundlicher Unterstützung des UNIQA ArtCercles verwirklicht werden.
Mit der Ausstellung Now I See zeigt das Wiener MUMOK eine weitere Retrospektive einer international renommierten österreichischen Künstlerin. Gezeigt wird ein Überblick über das Schaffen von Brigitte Kowanz mit Schwerpunkt auf Arbeiten der letzten Jahre.
»Wir sind in einem ständigen Übersetzungsprozess«, so Kowanz. »Wahrnehmung ist Übersetzung. Sprache ist Übersetzung.« Kowanz beschäftigt sich mit Phänomenen, die sich der bewussten Wahrnehmung entziehen. Beeinflusst wurde sie hierbei von Paul Virilio, der sich mit der Ästhetik des Verschwindens von »stabilen« Bildern beschäftigt hat. Internet oder Fernsehen ermöglichen es an mehreren Orten gleichzeitig zu sein. Virilio beschreibt »Bildröhre und Bildschirm, auf dem sich Schatten bewegen, welche die Gespenster einer im Verschwinden begriffenen Gemeinschaft vorstellen« und erklärt, dass die Simulation von Realität die unmittelbare Wahrnehmung von Wirklichkeit ersetzt. Auch Jean Baudrillard spricht von einem Vermittelt-Sein von Welt. In seiner Theorie der Simulation argumentiert er, dass Realität eine immer schon künstlich geschaffene ist, so dass man nicht mehr von einer Beziehung zwischen Subjekt und Welt sprechen kann. Vielmehr sei Realität immer schon Produkt einer bestimmten Ideologie. Medien und Schrift bilden die Koordinaten unserer Informationsgesellschaft. Doch Erkennen ist mehr als Sehen. Wahrnehmungsprozesse werden in den Arbeiten von Kowanz zu Erkenntnisprozessen. Die Funktion des Lichts entspricht der Bedeutung von Sprache, beide fungieren sie als Filter, durch den hindurch man Dinge wahrnimmt. Gleichzeitig sind Licht wie Sprache Grundvoraussetzungen für das Wahrnehmen, ermöglichen dieses erst.
Die Ausstellung zeigt Interventionen im architektonischen Raum von 1984 bis heute. Licht als Grundlage allen Seins ist Medium und Motiv auch der frühen Arbeiten der Künstlerin. Erst später rückt die Frage nach der Semantik ins Zentrum des Interesses. Unter Einbeziehung von Sprache entstehen nun Arbeiten voller Poesie bis hin zu präzis analytischen Definitionen.
Die Bildtitel, darunter Lumen und Lux, thematisieren per se bereits Licht. In den Neons bringt das Licht selbst die Worte und Sätze hervor. Form und Inhalt fallen zusammen, die Äußerung erfährt eine tautologische Verdoppelung, so in Volumen oder Outshine. Auch Morsezeichen werden dazu benutzt, Worte und Sätze zu formulieren, die das Phänomen Licht behandeln – Light Is What We See. Demgegenüber stehen Lichtinstallationen, die nach der Handschrift der Künstlerin geformt sind, und in denen die Lesbarkeit zugunsten der kalligraphischen Wirkung in den Hintergrund tritt.
Ein weiteres Mittel zur Reflexion von Phänomenen wie Wahrnehmung, Beobachtung aber auch der Subjekt-Objekt-Beziehung ist für Kowanz der Spiegel. Reflexfolien verbreiten die Botschaft von Morsezeichen über den ganzen Raum (Point of View) während sich die Sprache in den dreidimensionalen Spiegelkuben und -dreiecken zu Geflechten verdichtet und kaum noch lesbar ist. Höhepunkt der Ausstellung ist ein 450 m2 großer Spiegelsaal, der den Betrachter ein Bewusstsein des Wahrnehmungsprozesses abverlangt und Fragen zur (Selbst-) Wahrnehmung aufgibt.
Mit Hilfe des Lichts lässt sich neben der Erfahrung von Zeit (Lichtgeschwindigkeit SEK/4M) auch die des Raums visualisieren. Neben den sprachlichen Äußerungen ist auch Architektur Träger des allgemeinen Diskurses, daher immer schon semantisch besetzt. Kowanz, vor allem durch ihre Projekte im öffentlichen Raum international bekannt, transformiert Räume mittels Licht und verweist damit auf deren kontingente, aber stets bedeutungsimmanente Struktur.
Auch im Rahmen der jüngsten Ausstellung in Wien realisiert die Künstlerin zwei Interventionen im öffentlichen Raum. Während die Fassade des MUMOK vermessen wird und die Ergebnisse an der Außenhaut des Gebäudes ausgewiesen werden, thematisiert die zweite Arbeit, Now I See, am UNIQA Tower – nun wieder vollkommen lyrisch – die Flüchtigkeit von Sprache und Licht. (Text: Birgit Laback)